Die Umsatzsteuer als Konjunkturmotor – eine unerwartete Maßnahme des Konjunkturprogramms und ihre Auswirkungen auf Buchhaltung und Steuern

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Die Umsatzsteuer als Konjunkturmotor – eine unerwartete Maßnahme des Konjunkturprogramms und ihre Auswirkungen auf Buchhaltung und Steuern

Mit Datum vom 03.06.2020 hat sich der Koalitionsausschuss auf ein neues Konjunkturprogramm verständigt, welches unter anderem eine befristete Senkung der Mehrwertsteuersätze vorsieht. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es noch keinen konkreten Gesetzesentwurf zu diesem Maßnahmenpaket; lediglich einen Entwurf des Bundesministeriums für Finanzen. Vorgesehen ist die Absenkung der geltenden Mehrwertsteuersätze von aktuell 19% und 7% und dann 16% bzw. 5% für einen befristeten Zeitraum vom 01.07. bis zum 31.12.2020.

Aufgrund der kurzen Frist zur Vorbereitung notwendiger Umstellungen sind mittlerweile alle, die mit dem Thema Umsatzsteuer im täglichen Arbeitsleben zu tun haben intensiv damit beschäftigt, die Voraussetzungen für eine reibungslose Umsetzung zu schaffen.

Wir freuen uns sehr, dass Steuerberater Marcel Nehlsen, Fachberater für das Gesundheitswesen und Partner der Kanzlei Laufenberg, Michels und Partner in Köln, uns für die Beantwortung der ersten, wichtigen Fragen zur Verfügung stand.

 

F - solvi: Welche Umsätze sind von der neuen Regelung betroffen? 

A - Nehlsen: Die Regelung betrifft grundsätzlich alle umsatzsteuerpflichtigen Umsätze. Steuerfreie Umsätze, insbesondere Heilbehandlungsleistungen, sind von der Änderung des Steuersatzes nicht berührt. Für Zahnärzte betrifft die Änderung in der Regel die Umsätze im Eigenlabor, welche dann anstelle von 7 % nur noch mit 5 % besteuert werden. Vorausgesetzt Sie sind kein Kleinunternehmer und verzichten somit auf den Ausweis von Umsatzsteuer.

 

F - solvi: Gibt es weitere Umsätze, die von den Änderungen ebenfalls betroffen sein können?

A - Nehlsen: In der Tat können weitere Praxisumsätze betroffen sein. Da wären z.B. Umsätze im Prophylaxe-Shop, Kosmetisches Bleaching, Bestimmte Gutachtertätigkeiten, Umsätze aus Vorträgen und Veröffentlichungen sowie die PKW-Überlassung an Mitarbeiter (Aufzählung nicht abschließend).

 

F - solvi: Betrifft das auch den privaten Bereich der Zahnärzte? 

A - Nehlsen: Auch im privaten Bereich, also abseits von der Praxis, können Umsätze anfallen, die von der Regelung betroffen sind. Dies wären z.B. Umsätze aus einer umsatzsteuerpflichtigen Vermietung/Vermietung von Parkplätzen oder aus der Einspeisung von Strom mit einer Photovoltaikanlage.

Gleichzeitig können gegebenenfalls größere private Investitionen anstehen, die man in die zweite Jahreshälfte verschieben kann, um geringere Kosten zu haben. Auf betriebliche Investitionen gehen wir in diesem Zusammenhang später noch einmal ein. Es ist in jedem Fall wichtig zu prüfen, ob das Unternehmen, von dem ich Leistungen beziehen möchte, die Senkung des Steuersatzes an die Kunden weitergibt oder nicht. Steuerberater können da im Einzelfall individuell beraten.

 

F - solvi: Hat die neue Umsatzsteuer-Regelung eine Auswirkung auf meinen Gewinn?

A - Nehlsen: Die neue Regelung kann durchaus einen Einfluss auf den Gewinn haben. Ich will das nachfolgend gerne an 2 Beispielen darstellen. 

Beispiel 1: Sie bieten kosmetisches Bleaching für aktuell 100 € an. Dieser Betrag beinhaltet die aktuelle Mehrwertsteuer in Höhe von 19 %. Ihr Nettoumsatz beträgt also 84,03 €. Im Juli würden Sie die Leistung ebenfalls für 100 € anbieten und sie beinhaltet dann nur noch 16 % Mehrwertsteuer. Ihr Nettoumsatz beträgt dann 86,20 €, also 2,17 € mehr.

Beispiel 2: Sie leasen aktuell eine Behandlungseinheit vertragsgemäß für monatlich 500 € zzgl. gesetzlicher Mehrwertsteuer. Aus diesen Kosten können Sie keine Vorsteuer geltend machen. Im Juni zahlen Sie 500 € + 19 % = 595 € und im Juli zahlen Sie 500 € + 16 % = 580 €. Ihre Kosten verringern sich also um 15 €.

 

F - solvi: Kann ich Rechnungen aus Juni erst im Juli bezahlen und den Rechnungsbetrag selbstständig um 3 % kürzen?

A - Nehlsen: Nein. Für den korrekten Umsatzsteuersatz ist der Leistungszeitpunkt maßgebend. Daher dürfen Rechnungen nicht eigenständig gekürzt werden. Sollte der Umsatzsteuerausweis falsch sein, weil die Leistung tatsächlich erst nach Juni erbracht wurde, dann fordern Sie eine korrigierte Rechnung an.

 

F - solvi: Lohnt es sich, größere Investitionen zu verschieben?

A - Nehlsen: Es kommt darauf an, ob die Steuersatzsenkung sich in den Preisen, die Sie bezahlen, widerspiegelt. An dem Beispiel 1 aus Frage 4 ist zu erkennen, dass der Preis für den Patienten, also den Endverbraucher, gleichbleibt, weil der angebotene Preis ein Bruttopreis inkl. Mehrwertsteuer ist. Prüfen Sie das Angebot also zuvor genau.

Unter bestimmten Umständen kann es aus rein steuerlicher Sicht sogar Sinn machen, eine Investition ins nächste Jahr zu verschieben. Nämlich dann, wenn das Angebot mit einem Bruttopreis ausgewiesen ist und zum 01.01.2021 nicht verändert wird.

Beispiel: Sie möchten ein Cerec-Gerät für 50.000 € anschaffen. Der Preis ist als Bruttopreis ausgezeichnet, beinhaltet also die gesetzliche Mehrwertsteuer. Wenn Sie das Gerät jetzt kaufen, dann können Sie sich aus dem Bruttobetrag von 50.000 € 16 %, also 6.896,56 € Vorsteuer vom Finanzamt erstatten lassen. Wenn Sie das Gerät im Januar 2021 kaufen und der Preis gleichbleibt, dann können Sie sich aus dem Kaufpreis von insgesamt 50.000 € 19 % Umsatzsteuer, also 7.983,20 € vom Finanzamt erstatten lassen.

 

F - solvi: Ist es sinnvoll, noch im Juni Anzahlungen zu leisten bzw. abzurechnen?

A - Nehlsen: Nein. Der Steuersatz richtet sich immer nach dem Leistungszeitpunkt. Eine Anzahlung hat hierauf keinen Einfluss.

 

F - solvi: Muss ich mir ab Juli auch die erhaltenen Rechnungen genauer anschauen?

A - Nehlsen: Ja. Wenn ein Lieferant im Juli aus Versehen noch den alten Steuersatz von 19 % ausweist, dann kann das eine effektive Mehrbelastung für Sie darstellen. Wenn es ich um Materialien für Ihr Labor handelt, woraus Sie die Vorsteuer ziehen können, dann dürfen Sie nur Vorsteuer in Höhe von 16 % geltend machen. Die Differenz von 3 % schuldet der Lieferant zwar dem Finanzamt, aber Sie dürfen sich diese Differenz nicht vom Finanzamt erstatten lassen.

 

F - solvi: Was ist in der Umsatzsteuervoranmeldung zu beachten? 

A - Nehlsen: In den Voranmeldungen kann es zu verschiedenen Steuersätzen kommen. Wenn Sie die Voranmeldungen selber durchführen, dann besprechen Sie bei Unsicherheiten den Fall mit Ihrem Steuerbüro.

 

F - solvi: Was ist sonst zu beachten? 

A - Nehlsen: Setzen Sie sich frühzeitig mit Ihrem Praxissoftwareanbieter auseinander und prüfen Sie, ob und wie Sie geänderte Steuersätze einrichten können. Versuchen Sie, zum 30.06. einen möglichst klaren Schnitt in der Abrechnung zu erreichen. Umso weniger Überschneidungen es in den Monaten Juni/Juli und Dezember/Januar es gibt, umso leichter wird die praktische Umsetzung

 

Wir bedanken uns ganz herzlich bei Marcel Nehlsen für die Beantwortung dieser Fragen. Ganz sicher ergeben sich in der Umsetzung für die Praxen noch weitere Unklarheiten. Ihre Steuerberater sind auf jeden Fall die richtigen Ansprechpartner für Auskünfte im hochkomplexen Umsatzsteuerrecht.

 

Hinweis

Welche Relevanz die weiteren 56 Maßnahmen des Konjunkturpakets für Zahnarztpraxen haben und was Sie als Praxisinhaberin und -inhaber hier beachten sollten, können Sie im Artikel „Was das Konjunkturpaket für Zahnarztpraxen bedeutet“ nachlesen.


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